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Mehr als nur der Link zu einem Meetingraum!?

Mehr als nur der Link zu einem Meetingraum!?
Was wir von virtuellen Veranstaltungen für unseren Alltag lernen können

 

 

Zu Risiken und Nebenwirkungen:

 

 

Dieser Artikel ist vielleicht nicht nur ein Artikel,...

 

·         es könnte ein Leitfaden für die professionelle Gestaltung von virtuellen Treffen sein.

 

·         es könnte eine Reflexionseinladung für die eigene Gesunderhaltung sein.

 

·         es könnte eine Einladung an mehr Rollen- und Kontextbewusstsein sein.

 

·         es könnte vielleicht sogar einfach interessant sein 😉

 

 

 

Bereits zu Beginn des ersten Lockdowns habe ich mit meinem Lebenspartner, Heiko Veit, zusammengesessen und gemeinsam mit ihm reflektiert, was es in dieser Zeitqualität braucht, damit bereits eröffnete Entwicklungsräume und -prozesse für unsere Klienten und Ausbildungsteilnehmer/innen gut gehalten und weiter möglichst in gewohnter, lebendiger und verbundener Form begleitet werden können.

 

 

Zeitnah meldeten sich auch Kollegen und Kolleginnen sowie Führungskräfte aus Organisationen bei uns, weil sie sich entsprechend schulen und vorbereiten lassen wollten, um genau das auch selbst in Meetings, Workshops und Veranstaltungen anbieten und integrieren zu können.
So stellten wir entsprechende rollenprofessionalisierende Leitfäden und Mini-Workbooks zur Verfügung, um insbesondere die Kolleginnen und Kollegen unterstützen zu können, die sich innerhalb kürzester Zeit von der analogen auf die Online-Arbeit umstellen mussten.

 

 

Angefangen bei ganz konkreten Ausstattungsfragen des digitalen Offices, wie einem höhenverstellbaren Schreibtisch oder flexibel in unterschiedlichen Sitzpositionen nutzbaren Bürostühlen, berieten wir unsere Kunden bis hin zu Fragen des technischen Equipments. Darüber hinaus stellten wir Leitfäden mit Handlungsempfehlungen für Veranstalter und Teilnehmer zusammen, um die entsprechende Vorbereitung auf beiden Seiten gewährleisten zu können, damit das Online-Erlebnis für alle Beteiligten so störungsfrei und gewinnbringend wie möglich vonstattengehen kann.

 

 

Um hier auch selbst immer buntere und lebendigere Workshops und Ausbildungsmodule gestalten zu können, haben wir nicht nur viele nationale und internationale Veranstaltungen initiiert, moderiert und dabei die entsprechenden Tools und Vorgehensweisen erprobt, sondern haben auch selbst an etlichen nationalen und internationalen Online-Ausbildungen und -Workshops teilgenommen, um uns einen Eindruck zu verschaffen, wie Kollegen die aktuellen Herausforderungen bewältigen.

 

Basierend auf unseren Erfahrungen, die mal sehr erfreulich und manchmal extrem schmerzhaft waren 😉, haben sich einige Knackpunkte herausgestellt, auf die es besonders zu achten und zu fokussieren gilt, damit ein Online-Erlebnis einen positiven Eindruck hinterlässt, der dann auch nach Beenden des Calls gut verstoffwechselt werden kann.

 

Auf diese Knackpunkte möchte ich in diesem Artikel gerne näher eingehen!

 

 

Übersetzungsleistung

 

Einer der wichtigsten Parameter, der sich immer wieder herauskristallisiert, ist, das Gewahrsein darüber, dass jedes Medium, das ich in einem grobstofflichen Raum konkret nutze, eine Übersetzung in den digitalen Raum benötigt. Ich muss meinen Veranstaltungsraum und dessen Einrichtung kennen, damit ich den Raum bewusst einnehmen und gestalten kann. Was hier gelesen vielleicht einen banalen Eindruck macht, hat sich in der angewandten Praxis und Schulung häufig als völlig unbewusst und folglich auch als nicht genutzte Handwerksressource gezeigt. Daher an dieser Stelle mal eine kleine, aber feine Übersetzungshilfe:

 

 

 

Der Raum:

 

Der sonst grobstoffliche Präsenzraum, ob es sich um einen gemieteten Workshopraum, ein Coachingzimmer, oder mein Teilnehmer-Wohnzimmer handelt, will entsprechend digital zur Verfügung gestellt werden, sei es via Zoom, Teams, Skype, oder sonstigen Videocall-fähigen Tools. Die erste Herausforderung besteht darin, den Raum verlässlich zur Verfügung zu stellen und eine entsprechende Lizenz zu erwerben, die meine geplante Veranstaltungsdauer vollumfänglich abdeckt und die Raumkapazität für die Anzahl meiner Teilnehmer zur Verfügung stellt.

 

Innerhalb dieses Raumes ist es vielleicht - je nach der Konzeption meiner Veranstaltung - nötig, auch Ausweichräume für Gruppendiskussionen, Begegnungsräume, Sharings und ähnlichem zur Verfügung zu stellen. Hier muss ich ebenfalls wieder sicherstellen, dass ich die nötige Anzahl der Unterräume ohne große Störung eröffnen kann. Darüber hinaus gilt es, je nachdem, was dort inhaltlich bewegt wird, sicherzustellen, dass ich als Veranstalter dennoch für alle Teilnehmer erreichbar und abrufbar bin. Dies gilt sowohl für Störungsfälle, z.B. wenn jemand komplett aus dem Online-Raum herausfällt, als auch bei Rückfragen innerhalb der sogenannten Breakout-Groups oder wenn meine Hilfestellung nötig ist. Sollten innerhalb der Breakout-Groups Aufgaben erteilt werden, muss ich als Veranstalter oder Moderator sicherstellen, dass alle nötigen Informationen auch in den Kleingruppen ohne Zugang zum Hauptraum noch verfügbar sind.
Sollte ich Zusatztools integrieren und nutzen, was dringend anzuraten ist, um lebendige Veranstaltungen zu kreieren und die Ergebnisse entsprechend absichern zu können, dann muss ich gewährleiten, dass die Funktion und Bedienbarkeit ausreichend erklärt wurde und ich die Verantwortlichkeit in der Bedienung der jeweiligen Tools klar zugewiesen habe (viele Köche verderben meist den Brei 😉 und zu viel Hast und Eile zu Beginn stiftet meist Chaos, kostet Nerven und Nachbearbeitungszeit im weiteren Verlauf.). Je nachdem wie groß die Veranstaltung, wie komplex die Inhalte sind, oder wie viele Teilnehmer gleichzeitig begleitet werden, empfiehlt es sich einen Co-Host an der Veranstaltung zu beteiligen, der Teile der technischen Verantwortung übernimmt.

 

Die Sitzplätze

 

Die Sitzplätze im Raum verlagern sich an individuell gestaltete Räume bei den Teilnehmenden vor Ort und diese können sehr vielfältig sein; Vom onlinefähigen und voll ausgestatteten Arbeitsplatz über Küchentische, Wohnzimmerfußböden, Schlafzimmerecken oder manchmal auch aus dem Auto oder Zug heraus… alles schon gesehen.

 

Hier liegt die Verantwortung beim Veranstalter rechtzeitig darauf aufmerksam zu machen, welche Mindestausstattung erwartet und nötig ist, um an der Veranstaltung teilnehmen zu können. Insbesondere wenn es sich um aufgespannte Räume handelt, die einer vereinbarten Vertraulichkeit bedürfen empfiehlt es sich, das Gewahrsein und die Bewusstheit der Teilnehmenden darauf zu lenken, dass sie eine Mitverantwortung für die Sicherheit des Raumes und die Qualität der Ergebnisse tragen, die darin erzeugt werden.
Wir geben unseren Teilnehmern einen entsprechenden Leitfaden an die Hand, dem sie entnehmen können, dass wir eine Benutzung von Kopfhörern voraussetzen, um sicherzustellen, dass niemand anderes zuhören kann. Auch bitten wir entsprechend darum ein störungsfreies Umfeld zu kreieren, um sich selbst sowie andere Teilnehmer nicht ablenken zu lassen.

 

Ein klassischer Sitzplatz, der vom Teilnehmer selbstverantwortlich hergestellt werden muss, besteht aus einem stabilen Internetzugang und einem entsprechend mit einer Kamera versehenen Gerät mit einem Bildschirm, der groß genug ist, dass darauf auch geteilte Arbeitsergebnisse gut gesehen werden können. Falls es innerhalb der Veranstaltung darum geht, interaktiv Arbeitsergebnisse zu produzieren, empfiehlt sich die Teilnahme über einen PC oder einen Laptop um entsprechend frei mit Tastatur und Maus umgehen und schnell auf andere Tools zugreifen zu können. Und natürlich einen entsprechen eingerichteten Platz an dem es sich gut und gesund für die geplante Veranstaltungszeit sitzen lässt.

 

Die Präsentation

 

Alles was sonst konkret sichtbar im Raum platziert ist an Flipcharts, Metaplanwänden, Beamer, TV Streaming wird über den geteilten Bildschirm des Moderators oder durch weitere Tools ersetzt. Der Moderator hat entsprechend Sorge zu tragen, dass seine Dateien so vorbereitet sind, dass sie im Präsentationsmodus in maximaler Bildschirmgröße für die Teilnehmer sichtbar sind, und dass entsprechende Zusatztools VOR der Veranstaltung auf Tauglichkeit und Kompatibilität mit anderen Programmen getestet wurden. Gleiches gilt für das Teilen von Videoaufnahmen oder abgespielter Musik. Auch hier liegt es in der Verantwortung des Veranstalters die Grobeinstellungen und Durchführbarkeit im Vorfeld der Veranstaltung zu testen und im Verlauf der Durchführung nur noch Feinabstimmungen mit den Teilnehmern – wie z.B. Lautstärke anzupassen.

 

Gleiches gilt für das Vorstellen und Auswerten der Ergebnisse, die in Kleingruppen digitalisiert erarbeitet wurden und für alle Teilnehmer/innen sichtbar gemacht werden sollen.

 

Echtzeit-Ergebnis-Protokolle erfolgen entweder über Funktionen, die in der Meeting-Software zur Verfügung gestellt und ausreichend erprobt wurden oder über gut integrierte Zusatzprogramme, deren Inhalte ebenso für alle gut sicherbar und austauschbar sein sollten.

 

In der Praxis ist es durchaus hilfreich, Zusatztools zu verwenden, in denen die Teilnehmer auch eigenverantwortlich wirken können. Beispielsweise wird eine Wand für Moderationskarten ersetzt durch Mural, Klaxxon, Miro oder Ähnliches.
Für manche Menschen sind Moderationskarten und das Schreiben darauf ungewohnt, ebenso ist es im digitalen Raum mit solchen Collaboration-Tools. Das muss geübt werden, eventuell ist auf verschiedene Reifegrade oder Einschränkungen einzugehen. In einem Vor-Ort-Workshop ist der Bewegungsradius von jemandem in einem Rollstuhl beim Kleben von Moderationskarten an einer Wand beschränkt. Wie ist es denn mit Menschen, die sich mit der Bedienung von Maus und Fenstern in Computern schwertun?
Welche Möglichkeiten gibt es Tools oder kleine Erfahrungsübungen zu nutzen oder auch andere Gruppenmitglieder mit einzubeziehen, um alle Teilnehmer gleich zu befähigen?

 

Kommunikation

 

Auf Kommunikationsstrukturen und -muster gilt es in der Onlinearbeit noch feiner zu achten als in der analogen Welt. Eine Sprecherreihenfolge ergibt sich nicht einfach automatisch oder braucht, wenn es gewünscht ist, deutlich mehr geplante Zeit als offline. So empfiehlt es sich eine Sprecherreihenfolge vorzugeben. Entweder, indem der Moderator den Einzelnen aktiv zum Sprechen auffordert oder indem eine Reihenfolge im Chat vorgegeben wird. Ob man Teilnehmern in einer Veranstaltung die Chat-Funktion frei gibt, sollte man gut überlegen. In die analoge Welt übersetzt, würden dauernd Teilnehmer die Köpfe zusammenstecken und tuscheln und wären somit mit meiner Aufmerksamkeit nicht voll präsent im Raum. Auch offene Chats, in denen immer wieder Fragen gestellt werden, teilweise wild durcheinander, sind in die analoge Welt übersetzt nichts anderes als permanente Zwischenrufe, die die Aufmerksamkeit des Moderators erfordern. Wenn das Teil meines Konzeptes ist, dann erfordert das eine Lernbereitschaft des Moderators, das gleichzeitig mit im Gewahrseinsraum zu halten und steuern zu können, ohne den roten Faden zu verlieren. Sollte der Chat erwünscht sein, ich als Moderator aber merke, dass es mich zu sehr aus dem Fluss bringt wenn dauernd jemand „dazwischenruft“ im Chat, dann kann ich entsprechend wieder eine andere Person um Co-Tätigkeit bitten, damit diese den Chat im Blick hält und Fragen dann gebündelt oder in sinnvoller Art in die Gesamtmoderation hineinspielt.

 

Wichtig - und auch hier ist der Moderator gefordert- ist die natürliche Teilnehmer-Kommunikation aus der analogen Welt ins digitale zu übersetzen und eine Vereinbarung zu treffen, wie beispielsweise eine Wortmeldung erfolgen soll. Möchte man, dass Teilnehmer ihre Hand heben, ein digitales Handzeichen anklicken oder sich zu Wort melden? Das sollte vorher vereinbart werden, wenn man Chaos und unnötig lang gezogene Meetings verhindern möchte.

 

 

Es empfiehlt sich, dies zu Beginn der Veranstaltung anzusprechen, ebenso wie folgende Punkte: Sichtbarkeit des Videos (bleibt die Kamera an oder erlaubt man ein Sich-unsichtbar-schalten … ja, das hat einen Einfluss auf die entstehende Gruppendynamik und es ist sinnvoll mitzureflektieren, was ich für eine Gruppenkultur in meinem Meeting kultivieren möchte 😉), Stummschalten, wenn der Moderator spricht (Störungsminimalisierung durch Störgeräusche und dauernde sprecherwechselnde Monitoranzeigen), wie geht man mit Wortmeldungen und Rückfragen um, welche Backup Support Möglichkeit gibt es wenn jemand technische Schwierigkeiten hat und die Funktionen des Raumes nicht nutzen kann (Notleitung). Erklären der Sprecher- oder Gallerieansicht – und die damit verbundene Steuerfunktion von gelenktem Fokus, oder bewusster Defokussierung. Wie weit lehnen sich Teilnehmer zur Kamera hin oder zurück. Welche Wirkung hat das auf die Gruppe? Auch das kann ich entweder bewusst in die Teilnehmerverantwortung legen selbstverantwortlich zu schauen wieviel Fokus ist grade wann wohltuend und angebracht, oder ich kann je nach gewählter Intervention anmoderieren die entsprechende Ansicht zu auszuwählen, um meine Interventionswirkung zu steuern.

 

 

Die Interaktion in einem gemeinsamen grobstofflichen Raum haben wir als Menschheit über viel mehr Jahre trainiert, tradiert und somit auch kultiviert, als wir das im virtuellen Raum haben. Der Kontext virtuell ist aber ein gänzlich anderer. Das Wiederbewusstmachen, welche Wirkung eine lautere Stimme, ein Aufstehen, ein Vorbeugen und ein Zurücklehnen haben kann und welche möglichen Übersetzungen dieser Verhaltensweisen in eine virtuelle Welt bedeuten, ist essenziell.

 

Aber nur bei einem reinen Übertragen zu bleiben, wäre ja auch noch kein wirklich nächster Schritt. Wie leicht es -digitale Übung vorausgesetzt- in virtuellen Räumen ist, andere Formen der Interaktion zu fördern, wird oft vergessen. Eine anonyme Umfrage, um ein Gruppenbild zu erhalten, ohne dass sich vielleicht jemand genötigt fühlt, sich zu rechtfertigen, ist nur wenige Klicks entfernt. Interaktives Erarbeiten ist mit Tools an vielen Stellen leichter möglich, ebenso das Übertragen von Ergebnissen in weiterführende Tools, was insbesondere im Organisationskontext sinnvoll sein kann.

 

Eine Infrastruktur aufzusetzen, mit der Menschen die Freiheiten eines OpenSpace oder ähnlicher Formate bekommen UND dabei die Ergebnissicherung einfach und transparent ist, braucht schon ein ordentliches Maß an Vorbereitung der Infrastruktur.

 

 

Auch wenn hier schon viele nützliche Hinweise sowohl für Veranstalter als auch für Teilnehmende drinstecken, möchte ich in diesem Artikel nochmal einen Fokus auf das Rollen- und Kontextbewusstsein lenken, was aus mehreren Perspektiven heraus betrachtet, gerade zunehmend und massiv an Relevanz gewinnt.

 

 

 

Rolle & Kontext / Individuell & Kollektiv

 

 

Auch in der Offlinewelt erleben wir hier häufig, dass das Klären der eigenen Rolle und das In-Bezug-setzen zum jeweiligen Kontext/Thema, in dem man sich gerade bewegt, sowohl für Veranstalter, Führungskräfte als auch für Teilnehmer und Mitarbeiter eine große Herausforderung darstellt.

 

Unserer Erfahrung nach benötigt das Online-Arbeiten nochmal eine wesentlich klarere Struktur und eine deutlichere Rollen- und Kontexttrennung. Ohne das werden Online-Veranstaltungen nicht nur unheimlich anstrengend, sondern meist auch krampfig und chaotisch. Das ist unter anderem dem geschuldet, dass die Online-Welt deutlich schneller als die analoge Welt tickt. Und innerhalb dieses schnelleren Tickens benötigen wir Menschen darin eigentlich mehr Zeit, um Orientierung zu haben, um wirklich voll präsent dabei zu sein und um das Empfinden von Bezogenheit zu erzeugen.


Ohne Kontakt und Bindung zu meinem Gesprächspartner kann ich meinen Inhalt auch aus dem Fenster auf die Straße kippen, da kommt nix oder nur ein Bruchteil beim Gegenüber an. Und ja, es ist möglich auch in der Onlinewelt ein Empfinden von nährendem Kontakt und Verbundenheit, bis hin zu liebevollen Verbindungen herzustellen und Gruppen in dieser Schwingung zu kultivieren. Und wie wir das in analogen Räumen gemeinsam tun, ist für viele Menschen schon eine riesen Herausforderung. Das zu übersetzen in die Online-Welt erfordert mindestens einen Umlernprozess und der braucht entsprechend Zeit und Raum zum Einüben und Erkunden, mit allem, was in einem solchen Lernprozess dazu gehört.

 

 

Hinzu kommt, dass in der Masse der Online-Meetings, die viele von uns mittlerweile gezwungenermaßen führen müssen, um berufliche Projekte und Organisationen am Leben zu erhalten und auch im Privaten nährende Kontakte noch pflegen zu können, Grenzen mehr und mehr verschwimmen.

 

Das Gewahrsein für sich wechselnde Kontexte und auch das Empfinden für das Setzen und Wahren von Grenzen erfordert in der Onlinewelt einen bewussten Fokus. Insbesondere, weil viele konkrete Elemente, die uns normalerweise dabei unterstützen, wegfallen.

 

 

Ein Beispiel ist das fliegende Wechseln von Online-Meeting zu Online-Meeting.
In der konkreten Welt haben wir An- und Abreisezeiten, wir haben in der Regel zwischen den Meetings eine mehr oder weniger große Pause, die meist gekoppelt an einen konkreten Raumwechsel ist. Dadurch setzen wir auf eine natürliche Art und Weise Trennungen zwischen unterschiedlichen Kontexten, Räumen und Rollen. Unser Körper wird bewegt und erfährt durch diesen mit den Sinnen erfahrenen Raum- und Kontextwechsel einen deutlichen Marker. Dieser unterstützt uns wiederum zwischen Anspannung und Entspannung zu wechseln, den Pausen dazwischen Raum zu geben, dem sich Entstressen und emotional Entlasten, bevor der Fokus sich auf etwas anderes zubewegt und die Aufmerksamkeit darauf richtet. Der Körper unterstützt so beim Verstoffwechseln des zuvor erlebten und der Vorbereitung auf das Neue.

 

Wie viel- oder wenig Information erhält der Körper, wenn sich der Bildschirminhalt und somit eigentlich Teilnehmer, Raum, Inhalt und Kultur nur durch einen Klick ändert, während man auf seinem Stuhl am gleichen Tisch vor dem gleichen Gerät und womöglich noch in der gleichen Körperhaltung verbleibt? Wie viel unbewusste Informationsverarbeitung ist nicht möglich, weil körperlich-konkrete Signale gar nicht zur Verfügung stehen?

 

 

Spätestens, wenn das berufliche Leben im Lockdown in privaten Wänden stattfindet, das Arbeitszimmer (falls man zu Hause überhaupt eins einrichten konnte) ständiger Bestandteil des privaten Alltags ist, gelingt es Menschen schwerer wirklich Feierabend zu machen. Schnell sitzen wir zu Zeiten, zu denen wir sonst nie auf die Idee gekommen wären, nochmal schnell am Rechner, checken nur mal schnell Mails, scribbeln noch schnell die Roadmap für morgen früh, gehen mal schnell der stets weiter hochkochenden Familien- und Paardynamik im stetig Aufeinanderrumhocken aus dem Weg und beschäftigen uns dann lieber nochmal kurz mit der Arbeit. Die Beispiele könnte ich noch beliebig ausschmücken...

 

So bekommen auch private Freizeitgestaltung und Zeitfenster für Beziehungspartner und Freundschaften immer weniger klar definierten Raum, Anerkennung und Aufmerksamkeit. Und dennoch bleiben ja die Bedürfnisse nach Kontakt, Verbundenheit, Intimität und Austausch nach wie vor bestehen.


Als soziale Wesen synchronisieren sich unsere autonomen Nervensysteme automatisch, wenn wir im gleichen Raum sind. Wie viel davon ist vor einem Monitor noch möglich und wie viel passiert dort noch automatisch. Mittlerweile gibt es erste Studien über die Auswirkungen mangelnder Pausenzeiten. Da wird in den nächsten Jahren noch viele interessante Erkenntnisse geben. Aber bis dahin kann man ja einfach mal in die Selbsterkundung gehen, die eh im Allgemeinen für die eigene Lebensgestaltung nützlicher ist, als einer Studie zu folgen.


Wie sehr bemerken wir, dass uns Kontakt und Bindung fehlen, weil wir das in den virtuellen Welten gar nicht mehr haben oder sie nicht als solche erleben?

 

Da liegt es dann auch vollkommen logisch auf der Hand, dass fordernde, unangenehme Dynamiken und/ oder Auswirkungen sowohl auf die eigene Gesundheit als auch auf Familien- und Beziehungssysteme vorprogrammiert und nur eine Frage der Zeit sind.

 

 

Hinzu kommt, dass sich die Online-Welt für viele Menschen in einer Art und Weise anspürt, die dazu einlädt, ein - nennen wir es für den Moment mal enthemmteres - Verhalten an den Tag zu legen. Wir nehmen uns mehr Freiheiten raus (gerade jetzt wo sich viele in ihrer Freiheit als massiv eingeschränkt erleben) und wir trauen uns mehr.

 

 

Welcher Mitarbeiter käme wohl in der konkreten Welt auf die Idee, nur mit Oberhemd und Boxershort barfuß am Meeting-Tisch mit seinem Chef die KPIs zu besprechen? Blöd nur, wenn er aufstehen muss, um einen Ordner aus dem Schrank zu holen und glatt vergisst, dass er locker durch die Unterhose atmet. 😊 (Übrigens wirklich passiert).

 

 

Wer käme in grobstofflichen Räumen auf die Idee, einfach mal den Raum zu verlassen (Übersetzung in die Onlinewelt: Bildschirm und Ton ausschalten) - sei , um nur mal schnell die Augen zu verdrehen oder sich mal verbal emotional zu entlasten oder um mal nebenbei noch andere Termine zu klären oder sich mal schnell ´ne Stulle zu schmieren?

 

Wer käme in grobstofflichen Terminen auf die Idee noch 3 weitere Monitore oder Endgeräte mit ins Meeting zu bringen, um nebenbei schon mal noch andere ToDos zu erledigen. Oder sich durch Daddeln auf dem Handy von den nervigen Dynamiken und Energien der anderen abzugrenzen?

 

 

Die Respektlosigkeit, bzw. die mangelnde Klarheit der Kommunikation durch das eigene Verhalten ist da häufig noch nicht einmal bewusst, es wird einfach frei der Möglichkeitenraum ausgeschöpft und die Perspektive der Übersetzung meines Verhaltens in die analoge Welt, um das eigene Tun zu reflektieren, ist vielen Menschen völlig fremd. Ebenso wie die Bewusstheit fehlt, dass dieses Verhalten, auch wenn ich glaube dass es keiner mitbekommt, einen Einfluss auf die gesamte Veranstaltung und die entstehende Gruppendynamik und Kultur hat.

 

 

In der Welt des Cyber-Mobbings, der Online-Chats und des Cyber-Sex ist dieser Fakt schon lange bekannt, wie enthemmt manche Persönlichkeit sich online ausagiert und wie das eigene Verhalten als „Das ist doch nicht real“ - weil online - oder „Ich habe doch „nur““ bagatellisiert wird.

 

Ich persönlich bin im Zuge dieser Enthemmtheit auch immer wieder mindestens mal sehr erstaunt und manchmal auch empört, was für ungefragte Bildchen und plumpe Einladungen zu körperlichem Techtelmechtel ich mittlerweile auch über als Businessportale deklarierte Socialmedia-Kanäle erhalte. Aber dazu vielleicht mal an anderer Stelle mehr, wenn ich darüber philosophiere, wie wohl der/die ein oder andere Vorgesetzte reagieren würde, wenn man da einfach mal klärend nachfragen würde, ob Fotos von erigierten Penissen und lustvoll stehenden Brustknospen in der Organisation Teil der Marketing und Akquisestrategie sind?! 😉.

 

 

 

Zurück zur „Realität“, zumindest der, die ich jetzt mal im Rahmen dieses Artikels als solche definiere 😉.

 

Wie real und zum Teil existenziell notwendig online wirklich ist, das dürfte dank der bereits durchlebten Lockdowns nun mehr als klar geworden sein.

 

 

Doch wieder zurück zu den Online-Meetings, Trainings und dem Workshop-Markt: Hier beobachten wir zum Glück meist nicht so radikale Grenzverletzungen, aber wir erleben deutlich, welche Nebenwirkungen entstehen, wenn Rollen, Rahmen und Kontexte nicht von Beginn an gut geklärt werden.

 

 

Im Folgenden ein paar Bulletpoints, die dabei unterstützen können, entsprechende Grundlagen für mich sowohl aus Veranstalter-, als auch aus Teilnehmer-Perspektive reflektieren zu können:

 

 

  • Wer, wo, wie, wann, wozu? Das sind notwendige Fragen, die ich vor jedem Online-Treffen, das ich veranstalte oder an dem ich teilnehme, geklärt haben sollte. Allein, wenn das regelmäßig getan werden würde, säßen wir alle deutlich weniger in Meetings, bei denen eigentlich gar keine Notwendigkeit dazu besteht, in dieser Form zusammen zu kommen. Lebenszeitersparnis und geschonte Nerven, die dankbar wären!
  • Vertraulichkeit von Daten, Vereinbarung von Verschwiegenheit, Do´s and Don´t do´s, Umgang mit ausgehändigtem Schulungsmaterial. Dürfen Fotos vom Screen gemacht werden oder nicht? Wie wird mit geteilten Feedbacks und Sharings umgegangen? Was darf ich erzählen und wo? Was darf ich nicht…
  • Merke: Wo kein geklärter Rahmen - da keine Grenze - und folglich auch keine Grenzverletzung, auf deren Einhaltung ich bestehen könntest. Und nebenbei: Grenzen und Rahmen erzeugen Sicherheit und die Möglichkeit zu tiefem Kontakt.

 

 

Im Zuge des eigenen Gesundheits- und Leistungserhaltes empfehle ich dringend sich die eigenen Rollenwelten bewusst zu machen, die beruflichen UND die privaten. Dazu gehört es auf jeden Fall auch, die Verantwortlichkeit und die Bedürfnisse innerhalb der Rollen zu klären.

 

 

Welche Zeitfenster räume ich ganz bewusst meinen beruflichen Rollen ein, welche meinen Beziehungspartnern und Familienmitgliedern und welche Zeiträume ganz bewusst nur mir!? Die Onlinewelt verfügt über keine gängigen Öffnungszeiten, keine Nachtruhe, keine Feiertage, kein Wochenende. Diese Struktur muss ich mir selber setzen und sie entsprechend einhalten, wenn ich meine Kraft und meine Ressourcen bestmöglich und gesund nutzen möchte.

 

 

Dazu gehört auch, dass ich mir Grenzen definiere - wo beginnt der Raum für diese Rolle und wo endet er? Das will subtil erst einmal gelernt werden, ist aber unumgänglich, wenn ich ganz bewusst subtile Räume wechseln möchte, um unter anderem auch die Produktion meiner Stresshormone bewusst regulieren und einen Ausgleich schaffen zu können.

 

Machen wir uns nichts vor… diese Welt ist seit bald 2 Jahren wie ver-rückt für den Großteil der Menschen und die wenigsten hatten schon vorher begonnen, sich mit all dem auseinanderzusetzen, worauf dieser Artikel fokussiert. Viele wurden/werden ins kalte Wasser geworfen und lernen autodidaktisch irgendwie im Wasser zu schwimmen.

 

 

Wenn Leser/innen, die ihren Fokus vertiefend auf diese Themen lenken wollen, erhalten Sie hier in einem Wissensnugget zum Thema wertvolle Tipps und Arbeitsblätter zur Unterstützung:

 

 

 

Was auch immer nach dem Lesen dieses Artikels geschehen will, oder auch nicht 😉

 

Viel Freude beim Verstoffwechseln und hoffentlich deutlich angenehmere Online Meetings und Veranstaltungen und bewusst gestaltete Freiräume.

Herzlichst,

 

Treya- Silke Koch

 

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